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Kaizen – Steter Tropfen höhlt den Stein

Kaizen – klingt nach dem Mittagsmenü M9 beim Chinesen gegenüber. Oder ist es doch eine östliche Verteidigungskunst? Ein Kampfgeschrei von Jackie Chan im Kino? Eine Meditationsform? Naja, fast. Die Himmelsrichtung stimmt schon einmal. Und wenn man noch an ein Unternehmen wie zum Beispiel ein Labor denkt und an die Philosophie, dass immer etwas besser werden kann, liegt man schon recht richtig.


Wie funktioniert ein Labor?

Bevor wir in die Welt des Kaizen eintauchen, betrachten wir ein Labor und seine Führungsperson. Die Aufgabe eines analytischen Labors lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Die richtigen Proben müssen von den richtigen Leuten mit den richtigen Maschinen anhand richtiger Methoden analysiert werden, um ein Ergebnis zu liefern, das dem wahren Wert entspricht und nachvollziehbar ist. In dem Satz kommt oft das Wort „richtig“ vor. Wie man dieses „Richtig“ umsetzt, ist dabei die Kunst. Auf jeden Fall ist es essentiell, Mitarbeiter zu schulen, dass sie wissen, wie sie mit den Geräten und Methoden umgehen können. Die Geräte selbst müssen qualifiziert und funktionsfähig sein. Eine Validierung der Methode ist notwendig, um zu wissen, dass auch das richtige Ergebnis herauskommt. Außerdem muss die Methode so dokumentiert werden, dass andere Personen nachvollziehen können, wie welcher Schritt getan wurde. Auf eine von außen kommende Probe hat ein Labor nicht direkt Einfluss. Die Laborangestellten können jedoch die Kunden, die diese Probe analysiert haben wollen, darauf hinweisen, dass sie repräsentativ für die Gesamtheit des zu untersuchenden Materials sein muss. Es ist nämlich wenig aussagekräftig, von einer Charge die ersten 10 Tabletten zu untersuchen und die folgenden 990 außen vor zu lassen. Es könnte sich ja im Laufe des Herstellungsprozesses etwas geändert haben. Zusätzlich darf nicht vergessen werden, dass eine Probe mit der Zeit seine Eigenschaften verändern kann und je nach Analysenzeitpunkt andere Ergebnisse liefern kann. Man denke nur an licht- oder sauerstoffempfindliche Substanzen wie zum Beispiel Vitamin C.

Einem Laborleiter als Chef kommen nun bei der Umsetzung des „Richtigen“ neben den typischen Aufgaben wie Forschung oder Analytik von Proben auch Managementtätigkeiten zu. Bestellungen von Laborbedarf, Mitarbeiterführung, Finanzen sind ein kleiner Ausschnitt dessen, was sonst noch so getan werden muss. Dabei ist das Organisieren der Arbeit und Überwachen derer, die unter einem arbeiten, essentiell. Der Labormanager muss wissen, welche Fragestellungen das Labor betrachten will, was für Möglichkeiten und Ziele auf es warten, auch in finanzieller Hinsicht. Wenn Fehler auftauchen, muss der Laborleiter die Fähigkeit haben, sie zu korrigieren. Auch eine Evaluierung der Labormitarbeiter und der Fortschritte in einem Projekt sind notwendig. Zusätzlich spielt auch das Zwischenmenschliche eine große Rolle: ein motivierender Laborchef kann auch das Team zu höheren Leistungen anspornen und für einen guten Zusammenhalt sorgen.

Vor einigen Herausforderungen, um einen funktionierenden Betrieb führen zu können, steht ein Leiter eines Labors. Er möchte ja nicht stillstehen mit seinem Unternehmen, sondern sich weiterentwickeln und verbessern. Und da kommt Kaizen ins Spiel.


Photo by Olivier Le Moal/iStock / Getty Images
Photo by Olivier Le Moal/iStock / Getty Images

Geschichte einer Verbesserungsphilosophie

Schauen wir ins Japan in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Knappe Rohstoffe, ein vom zweiten Weltkrieg gebeuteltes Wirtschaftssystem und Einflüsse der Amerikaner veranlassten den Autohersteller Toyota dazu, seine Produktionsabläufe zu überdenken. Qualitätsgruppen wurden gegründet und alle Mitarbeitenden in die neue Philosophie miteinbezogen. Ziel war es, die Arbeitsabläufe so zu verbessern und zu straffen, dass unnötige Arbeitsschritte oder Produkte erst gar nicht entstehen. Fokus sollte auf die Qualität der Produkte gelegt werden, sodass diese dem Kunden ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Dabei spielte auch die nach außen sichtbare Veränderung eine Rolle. Nur der stetige Einsatz aller Mitarbeiter und ihre Bereitschaft, immer ein Auge auf die Produktionsprozesse und mögliche Verbesserungen zu haben, konnte dies ermöglichen. So war Kaizen geboren.

Was ist Kaizen?

Kaizen kommt aus dem Japanischen und bedeutet „Veränderung zum Besseren“. Es stellt kein definiertes Werkzeug oder eine Methode dar, sondern vermittelt eher eine Lebenseinstellung. Wer Kaizen lebt, ist davon überzeugt, dass man immer irgendetwas verändern, vereinfachen, verbessern kann. Kaizen in einem Unternehmen betrifft nicht nur die Leute der oberen Etage. Die Führungspersonen sind zwar für die Einführung zuständig, die Umsetzung jedoch wird Aufgabengebiet aller Arbeitenden. Jeder Mitarbeiter ist Teil und soll seine Arbeitsprozesse stetig kontrollieren. Dafür wird auch für ein angenehmes Arbeitsumfeld und gute Ausbildung gesorgt, weil ein gutes Produkt nur durch gute Arbeitskräfte entstehen kann. Diese sind dann auch gefordert, die Arbeitsabläufe auf Optimierung prüfen. Denn ohne einen idealen Produktionsprozess ist auch ein ideales Produkt nicht möglich. Wobei nach dieser japanischen Philosophie ein ideales Ding gar nicht existiert, weil ja immer Anpassungen in Richtung etwas Besseren möglich sind.

Nicht die sprunghafte Verbesserung durch große Innovationen ist laut Kaizen der Weg zum Ziel, sondern die kontinuierliche Optimierung. Dazu gehört auch die Verringerung von Verschwendungen an Materialien, aber auch an Zeit durch zum Beispiel lange Wege zwischen Geräten, die eigentlich zusammengehören. Im Kaizen wird der nächste Produktionsschritt als Kunde betrachtet. Also ist es notwendig, die Arbeitsabläufe so zu planen, dass ein Prozess zeitgerecht durchgeführt wird, weil der „Kunde“, der darauffolgende Produktionsschritt, schon wartet. Masaaki Imai, ein japanischer Organisationstheoretiker und Unternehmensberater, hat diese Philosophie über Japans Grenzen hinaus bekannt gemacht. In Europa ist sie auch unter dem Namen „kontinuierlicher Verbesserungsprozess“ bekannt.


Schlankes Management

Ein andauernder Verbesserungsprozess wie im Kaizen gefordert, soll im Idealfall dazu führen, die internen Abläufe so effizient wie möglich zu gestalten. Dies ist auch der Hintergedanke des Lean Management, zu Deutsch „schlankes Management“. Ressourcen sollen in jener Art eingesetzt werden, dass so wenig wie möglich verschwendet wird, ganz nach dem Motto weniger ist mehr. So werden die Arbeitsabläufe den Bedürfnissen der Kunden angepasst, um hochwertige Produkte herstellen zu können. Wiederum darf hier Toyota und sein Toyota Production System, ein Paradebeispiel für Lean Management, genannt werden. Zur Veranschaulichung: die Maschinen, die die Autos herstellen, sind so programmiert, dass sie, sobald ein Fehler auftaucht, automatisch stoppen. Dadurch wird vermieden, dass fehlerhafte Teile produziert werden. Außerdem wird kundenorientiert hergestellt, sodass große Lagermengen vermieden werden, weil nur produziert wird, was die Kunden gerade haben wollen.

Wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum Suchen

Nun wissen wir, was Kaizen und die Philosophie dahinter ist und denken nicht mehr an chinesische Nudelsuppe. Aber was heißt das nun genau für die Praxis? Ein wichtiger Bestandteil der japanischen Verbesserungsphilosophie ist die Gestaltung des Arbeitsplatzes. Man sagt ja nicht umsonst, dass man an einem aufgeräumten Platz auch aufgeräumter denken kann. Oder anders formuliert: Wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum Suchen. Was früher die rebellische Antwort war auf die Aufforderung seiner Mutter, doch endlich sein Zimmer aufzuräumen, ist im Kaizen-Gedanken essentiell für einen reibungslosen Arbeitsablauf. Dafür gibt es die 5S-Methode.

  • Sortiere aus: Alle Dinge, die für den Arbeitsablauf nicht notwendig sind, müssen aussortiert werden. Nur das, was gebraucht wird, soll auch da sein, alles andere verbraucht Platz und Zeit fürs dauernde Umräumen. So werden zum Beispiel in einem Labor im Kasten, wo die Glasgeräte aufbewahrt werden, alle kaputten Gefäße oder Verpackungsmaterial weggeworfen. Auch werden Stifte oder Spatel woandershin geräumt.
  • Systematische Ordnung: Man soll sich fragen, welche Materialien benötigt werden und an welcher Stelle. Jeder Gegenstand bekommt seinen Platz zugewiesen und wird nach der Verwendung auch an genau diesen Platz wieder zurückgelegt. Das erfordert natürlich eine genaue Planung und Überlegung, wie man welchen Arbeitsschritt eigentlich macht. Denn es mag die Situation bekannt sein, wenn man sich zwar ein großartiges Ordnungssystem ausgedacht hat, es aber so unpraktisch ist, dass man die Sachen erst wieder irgendwo hinlegt. Auf ein Labor angewandt werden die Bechergläser, die oft in Verwendung sind, nach vorne gestellt. HPLC-Säulen werden in einer Lade aufbewahrt, wo jede Säule geordnet nach Packmaterial und Größe ihren definierten Platz hat. Pipetten und die dazugehörigen Spitzen stehen nebeneinander, der Mülleimer für die gebrauchten Spitzen befindet sich gleich daneben.
  • Sauber halten: Reinigungsstandards müssen festgelegt werden und Regeln, wer welche Reinigung durchführt. Das Putzen dient gleichzeitig als Kontrolle der verwendeten Materialien. So können eventuelle Schäden gleich behoben werden und der Nächste ärgert sich nicht, wenn er ein kaputtes Arbeitsutensil vorfindet. War in einem Glaskolben zum Beispiel Dichlormethan, wird der Rest zu den halogenierten Lösungsmittelabfällen geleert. Der Kolben selbst wird vorschriftmäßig gereinigt und auch gleich auf Risse kontrolliert.
  • Standardisieren: Der neue Zustand soll sichergestellt werden. Durch Beschriftungen, Markierungen, logische Nähe bestimmter Geräte und definierte Stellplätze kann ein Zeitverlust durch Suchen vermieden werden. Gerne dürfen Farben zur Kennzeichnung verwendet werden. Im Idealfall ist für einen Außenstehenden die Logik der Anordnung sofort ersichtlich. Reagenzien stehen nach Alphabet geordnet. Glasgeräte sind in einem Schrank mit der Aufschrift „Glas“. Mülleimer haben Beschriftungen, welcher Inhalt hineingeworfen werden darf.
  • Selbstdisziplin und ständige Verbesserung: Die neue Ordnung darf nicht nur ein Phänomen des Augenblicks sein, sondern soll so beibehalten werden. Natürlich sind laufende Verbesserungen erwünscht, sonst wären wir nicht im Kaizen. Manches im Arbeitsalltag erweist sich zwischendurch eben doch nicht so praktikabel, wie man sich das vorher gedacht hat. Dann muss angepasst werden. Wenn man beispielsweise für einen Exsikkator einen Aufbewahrungsplatz zu weit oben gewählt hat, und ihn jeden Tag herunterheben muss, tauscht er den Platz mit leichteren Geräten, die besser über Kopf zu heben sind.

Zum Abschluss (den es laut Kaizen sowieso nie gibt)

Ein Laborleiter ist zwar derjenige, der das Prinzip des Kaizen in das Unternehmen einführen wird, doch dann sind alle Mitarbeiter gefragt, tägliche Verbesserungen in allen Bereichen des Labors zu finden und zu implementieren. Auch wird es den Laborleiter freuen, wenn Verschwendungen an Material, Zeit und Geld vermieden oder zumindest eingedämmt werden können. Gerade wenn es um gefährliche Substanzen geht, die im Labor unweigerlich vorhanden sind, ist die Arbeitsplatzorganisation nach dem 5S-System ein Gewinn an Sicherheit, unter anderem durch die gute Kennzeichnung aller Arbeitsgeräte. 5S ist ein Bereich im Kaizen, der vielen Unternehmen als Einstieg in die kontinuierliche Verbesserung dient. Das mag wohl an der greifbaren Umsetzung liegen, die recht bald sichtbare Erfolge bringt. Eine erhöhte Zufriedenheit der Arbeitenden kann durch die Eigenverantwortung und das verbesserte Arbeitsumfeld erreicht werden. Arbeitsplätze, allgemein die Situation wird direkt vor Ort betrachtet, so kann Fehlerhaftes schnell und mit den dafür zuständigen Personen ausgebessert werden.

Natürlich bedarf es einiger Neuerungen und Umstellungen, wenn man nach den Prinzipien des Kaizen arbeiten möchte. Eventuell muss mit Widerstand der Mitarbeiter zumindest am Beginn gerechnet werden. Sie sind nun gewissermaßen gefordert, ihre gewohnten Arbeitsabläufe dauernd zu hinterfragen und die vielleicht eingeschlichene Betriebsblindheit abzulegen. Auch kostet es zum Beispiel Zeit um Arbeitsplätze umzustrukturieren und zu kennzeichnen. Zusätzlich müssen auch die Vorschläge der Mitarbeiter verarbeitet und gegebenenfalls umgesetzt werden. Auch steht die Frage nach der Grenze der Umsetzung des Kaizen im Raum. Verbesserungen nur um der Verbesserung willen müssen nicht immer eine Erleichterung der Arbeit bedeuten. Langjährige Prozesse sind ja nicht umsonst schon lange im Einsatz, sondern können sich einfach bewährt haben. Zusätzlich kommt die Frage, wie genau man seinen Arbeitsplatz gliedern muss um effizient arbeiten zu können. Wenn es nervöses Unbehagen bereitet, wenn der Stift nicht genau innerhalb seiner Markierung liegt, wird man vielleicht hinterfragen, ob man den Kaizen-Gedanken zu weit getrieben hat.

Wenn man jedoch das richtige Maß findet, kann die Verbesserungsphilosophie zu neuen, immer höheren Standards führen, was die Qualität der Produkte steigert. Und das wiederum soll den Kunden das gewünschte Lächeln ins Gesicht zaubern.